Mut zur Lücke

Wettbewerb für eine Lückenbebauung in Osterburg – 1. Preis

Auslober: Hansestadt Osterburg / Architektenkammer Sachsen-Anhalt

Bearbeitung: 2015

Dass es ein Eckgrundstück in die Auswahl der Wettbewerbsreihe „Mut zur Lücke“ geschafft hat, ist kein Zufall: Das Fehlen einer Eckbebauung in einem sonst geschlossenen innerstädtischen Block ist –  in Anbetracht der Zwischennutzung durch PKW-Abstellflächen im schlechtesten und durch Kinderspielplätze im besten Fall –  besonders schmerzhaft. Gleichwohl ist die Vernachlässigung solcher Baulücken aus planerischer Sicht gut nachvollziehbar. Die Grundstücke haben zwar Anstoß an zwei öffentliche Straßenseiten, eine Hoffläche und damit Ausblick und Besonnung von der gegenüberliegenden Seite sind meistens nicht vorhanden. Das macht Eckgrundstücke –  insbesondere mit Nord-Ost-Ausrichtung – für den Wohnungsbau eher unattraktiv. Hinzu kommt die nach dem Gießkannenprinzip über sämtliche innerstädtische Lagen verordnete, einheitliche GRZ von 0,6. Damit lassen sich die angestrebte geschlossene Bebauung und qualitätvolle Wohnungsgrundrisse beim besten Willen nicht vereinbaren. Der Auslober hat dies gerade noch rechtzeitig erkannt und tat gut daran, nachträglich ein weiteres Grundstück in die Planungen einzubeziehen.

Der vorliegende Entwurf nutzt die zur Verfügung stehende Grundfläche, um sie auf zwei Baukörper – je am Großen Markt und in der Naumannstraße – aufzuteilen. Obwohl mit dieser Disposition nur Einspänner realisierbar sind, gelingt es damit, beide Straßenräume zu schließen und gleichzeitig die Körnigkeit der angetroffenen Bebauungsstruktur übernehmen. Diese Aufteilung lässt auch eine einfache Etappierbarkeit zu. Eine Ballung der Baumasse an der Ecke führte vielleicht zu einem wirtschaftlicheren Bauvolumen, risse aber eine zu große Lücke in die Bebauung der Naumannstraße. Der Entwurf legt seinen Schwerpunkt eindeutig auf die städtebauliche Lösung und gibt damit eine Antwort auf die Frage nach einer nachhaltigen Planung.

Die Form orientiert sich an der vorherrschenden Typologie im Innenstadtbereich: Die Häuser stellen sich traufseitig in die bestehende Straßenflucht; allein die Firsthöhe überragt in Folge der größeren Gebäudetiefe unter Beibehaltung der Dachneigung ihre unmittelbaren Nachbarn – ein Effekt, der durchaus gewollt ist. Das markante Volumen stärkt die Ecksituation. Die große, ungestörte Dachfläche zitiert das Dach der Nicolaikirche mit ihrer ortbildprägenden Wirkung.

Durch die Positionierung im Stadtgefüge ergeben sich spannende Zwischenräume, die von abwechselnder Enge und Weite leben. Am Großen Markt wird der traditionelle Traufgang zu einem Hauszugang erweitert. In der Naumannstraße bildet das Wohnhaus zusammen mit dem Giebel einer benachbarten Scheune einen interessanten Innenhof.

Die Einpassung der im Grundriss auf den ersten Blick unkonventionell geschnittenen Baukörper erfolgt mit den Werkzeugen des traditionellen Städtebaus: Ein leichtes Hochparterre, welches von einem Sockel akzentuiert wird, erhebt das Erdgeschoß über den Straßenraum, so dass eine Wohnnutzung möglich ist. Die Eingänge befinden sich folgerichtig auf der Rückseite, weil somit genug Platz bleibt, um einen barrierefreien Zugang zu schaffen. Die Wege dorthin sind gepflastert, die Hofflächen mit den notwendigen Abstellplätzen und Unterständen geschottert, vor den erdgeschossigen Wohnungen sind kleine Gärten angelegt. Der zur Verfügung stehende Außenraum wird effizient für die vielfältigen Nutzungen organisiert.

Obwohl vom Auslober nicht gewünscht, sieht der Entwurf ein Ausbau des Dachgeschosses – zumindest optional – zu Wohnzwecken vor. Allerdings hat dieser Ausbau nicht allzuviel mit einer konventionellen Bauweise unter Verwendung baukonstruktiv aufwendiger und denkmalpflegerisch fragwürdiger Dachgauben zu tun. Die Lage der Firstlinie über die kurze Gebäudetiefe erlaubt es, auf Dachfenster und –gauben vollständig zu verzichten und eine Belichtung allein über die Giebelwände sicherzustellen. Durch das schon vorhandene Treppenhaus drängt sich ein Ausbau des Dachgeschosses geradezu auf, zumal die entstehenden Studios eine einmalige Wohnqualität bieten und bei der entsprechenden Zielgruppe (z.B. Referendare) sicherlich gut nachgefragt werden.

Das Prinzip der Kompaktheit findet seine Fortführung in der Tragstruktur der Häuser. Die Gebäudetiefe von 12 Metern wird durch tragende Mittelwände in drei annähernd gleich tiefe Schichten aufgeteilt. Mit den tragenden, gemauerten Außenwänden ergeben sich durch äußerst effiziente Spannweiten geringe Bauteilstärken bei maximaler Raumhöhe. Über das in der Ecke angeordnete Treppenhaus gelangt man in einen wohlproportionierten Zentralflur mit Aufenthaltsqualität, der über Türoberlichter bzw. eine Loggiaverglasung belichtet wird. Es ist der zentrale Raum, der nicht nur der Verteilung dient, sondern der möbliert und bewohnt werden kann und damit fast ein zusätzliches Zimmer ist. Von dort sind alle Zimmer sternförmig erschlossen, so dass Durchblicke in den Stadtraum überall möglich sind. Hier kommt noch einmal der Vorteil der Einspänner zum Tragen, denn alle Wohnungen haben auf mindestens drei Seiten Fenster – eine in innerstädtischer Lage besondere Qualität.

Bei der Materialisierung orientiert sich der Entwurf an in Vergessenheit geratene Qualitäten profunder handwerklicher Ausführung. Was an kompakter Bauweise, ökonomischer Tragstruktur und einfachen Details eingespart wird, soll in hochwertige Materialien mir langer Lebensdauer investiert werden. Auch damit liefert der Entwurf eine Antwort auf drängende Fragen der Nachhaltigkeit.